Rauschen


Schrottophonie
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In Planung:
Hausmusik

Projektbeschreibung:
Wir haben was auf der Pfanne - eine Schrottophonie

Projekt von ProJazz Dortmund e.V. und dem Reinoldus- und Schiller-Gymnasium Dortmund-Dorstfeld

  1. Ziel des Projekts
  2. Idee und Planung
  3. Ausgangssituation für die Schüler
  4. Vorbereitungsphase
  5. Konzeptions- und Aufführungsphase
  6. Die Großform
  7. Intrada
  8. Erster Satz: Allegro furioso
  9. Zweiter Satz: Liberi ludentes
  10. Dritter Satz: Scherzo
  11. Vierter Satz: Finale ritmico
  12. Schlußbemerkung

Ziel des Projektes

Ziel des Projektes ist es gewesen, eine Methodik zu entwickeln, im Klassenverband, also im Rahmen des regulären Musikunterrichts, den Schülern einen kreativen, eigenständigen Umgang mit Klängen und Strukturen experimenteller Musik zu ermöglichen.
Besondere Voraussetzungen der Schüler, beispielsweise die ansatzweise Beherrschung eines traditionellen Musikinstruments, werden nicht vorausgesetzt, können aber einbezogen werden.
Hauptsächlich soll das Instrumentarium aus Bestandteilen des Schrottophons bestehen. Der Vorteil dieser Instrumente liegt darin, daß keiner der beteiligten Schüler vorher mit ihnen Erfahrungen gesammelt hat und alle gemeinsam Neuland betreten.

Idee und Planung

Im Rahmen des Festivals europhonics im Juni 2000, bei dem ProJazz e.V. in Kooperation mit dem Kulturbüro der Stadt Dortmund europäischen Jazz präsentiert, fanden Gesprächskonzerte im Rahmen von Klassenunterricht an Dortmunder Schulen statt.
Margarete Bastian, Musiklehrerin der damaligen Klasse 5a am Reinoldus- und Schiller-Gymnasium in Dortmund-Dorstfeld (RSG), lud Richard Ortmann und Guido Schlösser zu einer Vorführung ein. Beide waren den Schülern von einer Tonbandcollage und einem Plakat der Gruppe "chachelihöll" bekannt, die auf einer Schweizer Schutthalde produzierte Dias mit improvisierter und komponierter Musik verbindet. Ortmann verwendet dabei eine Sammlung von Instrumenten, die er unter der Bezeichnung Schrottophon zusammenfaßt.
Nach einer kurzen Vorführung mit live präpariertem Flügel (Schlösser), Saxophon, Drumset und Schrottophon (Ortmann), probierten die Schüler das Instrumentarium aus und entwickelten in Quartett- und Quintettbesetzungen anhand einfacher Improvisationsanleitungen (z.B. leise beginnen, dann steigern bis zum finalen Höhepunkt) Kollektivimprovisationen. Die Stunde endete in einer Kollektivimprovisation im Klassenverband, die von Ortmann dirigiert wurde.
Der Erfolg dieser Präsentation und die Begeisterung, mit der die Schüler sich die Instrumente aneigneten, führten zu der Idee, im Herbst ein Projekt durchzuführen, das der Prüfung dienen sollte, ob ein Projektunterricht in der noch zu erarbeitenden Form im Klassenverband überhaupt möglich ist, und, wenn ja, welche Erfolge sich damit erzielen lassen.
Die Methode des Projekts ist die Erarbeitung und Aufführung einer Schrottophonie, d.h. einer suitenhaft angelegten Großform mit verschiedenen Kompositions- und Improvisationsformen unter Verwendung hauptsächlich von ausrangierten Gegenständen aus Haushalt und Arbeitswelt.
Ausgewählt wurde die bereits erwähnte Klasse 5a (dann 6a). Angesetzt wurden 10 Unterrichtsstunden mit Probenarbeit (6. Stunde dienstags), dazwischen jeweils eine Unterrichtsstunde Vor- und Nachbereitung (4. Stunde mittwochs) ohne Beteiligung von Schlösser und Ortmann. Zusätzlich wurden drei Intensivproben zu jeweils 120 Minuten angesetzt, die der direkten Vorbereitung der Aufführung dienen sollten. Die Aufführung sollte im Rahmen des Weihnachtskonzerts in der Aula am 16.12.2000 stattfinden.

Ausgangssituation der Schüler

Die 23 Schülerinnen und Schüler der Klasse entstammen einem vorstädtischen, sozial gemischtem Umfeld. Der Ausländeranteil ist gering (zwei Türkinnen). Zwei Schüler haben Klavierunterricht, vier Schülerinnen verfügen über Erfahrungen mit Blockflöten, eine begann während des Projekts mit Querflötenunterricht.
Der Unterricht in der fünften Klasse war sehr basisorientiert: Singen von Volks- und Kinderliedern, elementare Notenlehre, Klatschübungen mit einfachen Rhythmen, aber auch Improvisationsübungen mit Alltagsgegenständen und das Hören von Aufnahmen europäischer Klassik und experimenteller Musik.

Vorbereitungsphase

8 Unterrichtsstunden
Diese Phase legt die Basis für die Entwicklung der Schrottophonie. Alltagsgegenstände werden auf ihre musikalischen Verwendungsmöglichkeiten geprüft. Getestet werden also allerhand Möglichkeiten, einem oder mehreren Gegenständen auf verschiedenste Weise Klänge zu entlocken. Die Qualität eines Klanges bzw. eines Geräusches wird hierbei nicht definiert über die physikalischen Grundlagen der Entstehung, sondern über die unmittelbare Hörerfahrung, an die sich die musikalische Verwendung anschließt. Bereits an dieser Stelle zeigt sich ein wichtiges musikpädagogisches Prinzip, das dieser Projektidee innewohnt: die Bevorzugung der musikalischen Kommunikation gegenüber der sprachlichen.
Die verwendeten Klänge dienen nun der Erzeugung kleiner Spontankompositionen. Vorgegeben werden traditionelle formbildende Kompositionselemente: Dynamik (laut>leise<laut, laut<sehr laut), Veränderung rhythmischer Dichte, Imitation und Variation (z.B. "Stille Post" mit verschiedenen Instrumenten), Ostinato mit Soloimprovisation. Die Sensibilität der Schüler für die musikalischen Äußerungen ihrer Mitspieler wird besonders gestärkt in Improvisationsübungen, in denen ein Solopart von einem anderen Mitspieler fortgeführt wird.
Die Vorbereitungsphase dient außerdem dazu, die Beachtung von Dirigaten zu erlernen, die bei der Aufführung kollektive Improvisationen spontan steuern sollen.
Die Stunden zwischen den Proben können zu verschiedenen Zwecken genutzt werden, beispielsweise zum Hören und Besprechen von Aufnahmen der Proben, zu rhythmischen Übungen oder zur Einordnung der für die Schüler neuen Klangästhetik in den historischen Kontext. Verwendung fanden hier die Kompositionen "Ionisation" von Edgard Varèse (1930) und "Sun" von Alexander von Schlippenbach (1966). Die Erfahrung zeigt jedoch, daß die Schüler mit fortschreitender Projektdauer sich auf ihr eigenes Projekt konzentrieren wollen.

Konzeptions- und Aufführungsphase

12 Unterrichtsstunden, 1 Intensivprobe, 1 Hauptprobe, 1 Generalprobe (jeweils 120 Minuten), Aufführung
Nach den Herbstferien wurden die einzelnen Elemente der Suite konzeptioniert und geprobt, ein Prozeß im ständigen Wechsel. Die Schüler äußerten den Wunsch, die Gesamtkonzeption, die am Anfang der Phase noch nicht vorlag, kennenzulernen.
Der Ablauf der Großform wurde erstmals notiert. Dieser Ablaufplan, der jedem Spieler anzeigt, an welchem Teil er mitwirkt, wurde bis zum Ende der Proben überarbeitet und schließlich bei der Aufführung verwendet.Ursprüngliche Pläne, eine graphische Notation zu entwickeln, wurden verworfen, da über den Ablaufplan, die Dirigate und die mündlichen Absprachen hinaus keine Notwendigkeit der Notation bestand. Auch hier wirkte wieder das Primat praktischen Musizierens gegenüber dem traditionellen musikwissenschaftlichen Werkverständnis.
Anhand des Ablaufplans sollen nun die musikdidaktischen Absichten und Erfolge, aber auch einige der Überraschungen geschildert werden, die dem Bereich des "sozialen Lernens" zugeordnet werden.

Die Großform

Die kompositorische Großform hält sich an die Viersätzigkeit der klassischen Symphonie. Die Einführung der Viersätzigkeit zeigt den Schülern, wie ein Werk traditionellerweise gegliedert ist, das über eine Aufführungszeit von über 30 Minuten die Hörer in seinen Bann ziehen will, das aufweckt, entspannt, Pausen einlegt, kleine und große Spannungsbögen aufbaut und schließlich fulminant endet.
Nach einer Intrada führt der erste Satz laut und deutlich in die Klangsprache des Werks ein. Der ruhige zweite Satz enthält vor allem kammermusikalische Elemente. Der dritte Satz gibt sich leicht und unterhaltsam, während der vierte Satz in rhythmisch strenger Form zum abschließenden Höhepunkt führt. Dementsprechend die Satzbezeichnungen:
1. Allegro furioso
2. Liberi ludentes
3. Scherzo
4. Finale ritmico

Intrada

Eine leere Bühne erzeugt vor Beginn des Konzerts mehr Spannung als eine, auf der die Musiker ihre Instrumente stimmen und die schwierigsten Passagen probieren. Im Gegensatz zum klassischen Symphoniekonzert ist hier nicht der Dirigent, der das leerstehende Pult besetzen wird, der Star, sondern die Instrumentalisten, die mit Weihnachtsglöckchen um das Publikum herumziehen und die Bühne besetzen. Die Weihnachtsglöckchen dienen der Erfüllung der Forderung der Schulleitung nach weihnachtlicher Atmosphäre.

1. Satz: Allegro furioso

Am eigentlichen Beginn der Schrottophonie wird ein hohes Energieniveau erzeugt. Das Publikum wird konfrontiert mit einer ungewöhnlichen Klangästhetik, aber auch mit der Begeisterung der Spieler an kollektivem Klang und Krach. Die Kollektivimprovisation wechselt sich ab mit einem Klavier-Duo, bei dem ein Schüler die Tasten spielt und ein anderer, interessanterweise der an den Tasten geschulte Schüler, Stahlfedern und Blechteller im Saitenkasten.
Das Duo ebenso wie die Kollektivimprovisationen stehen in der Tradition des energy play im Free Jazz der sechziger Jahre (Sun Ra Arkestra, Globe Unity Orchestra). Klavierpräparationen finden sich bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei Henry Cowell und John Cage, die Einbeziehung von Industriegeräuschen bei Futuristen und Bruitisten, die letztendlich auch die elektronische Tanzmusik am Ende des 20. Jahrhunderts beeinflußt haben.
Am Ende des ersten Satzes wird ein Rhythmusmuster vorgestellt, das, mit einem anderen Instrument gespielt, Teil der Ostinatokomposition im vierten Satz sein wird. Den Schülern wird so gezeigt, wie musikalische Beziehungen auch über weite Entfernungen geknüpft werden, um eine Komposition zusammenzuhalten.

2. Satz: Liberi ludentes

Der zweite Satz zeigt verschiedene spielerische Möglichkeiten der Verwendung bekannter und unbekannter Klangerzeuger.
Die Sopranblockflöte, meist zur Reproduktion bekannter Volksweisen verwendet, dient hier der Spannungserzeugung. Eingeführt wird die Mikrotonalität, deren Qualität in diesem Zusammenhang sofort einleuchtet. Demgegenüber stehen das dreitönige Klüngelskerlflötenmotiv und das handgeblasene Mundsolo, das einem ansonsten sehr zurückhaltenden Schüler die Möglich gibt, im Vordergrund zu glänzen.
Das Duo mit Telefon und Schreibmaschine verbindet eine mittlerweile nur noch in alten Filmen und kuriosen Unterhaltungsmusikaufnahmen zu findende Klangwelt mit einer witzigen Schauspieldarbietung.
Das anschließende Mädchen-Quintett ging hervor aus dem gescheiterten Versuch der Einbeziehung von selbstgebauten Instrumenten. Der Eigenbau von Instrumenten läßt sich nicht als Hausaufgabe verwirklichen und hätte im Unterricht den Rahmen gesprengt. Unter Verwendung von Eigenbau- und anderen Instrumenten, u.a. sogenannte paddle drums, entwickelten die Mädchen ein Instrumentalstück, dem eine erfundene programmatische Geschichte zugrunde lag. Es ergab sich ein Konflikt zwischen den Klangästhetiken der Klein- und der Großform und damit zwischen den fünf Mädchen und den zwei künstlerischen Leitern, bei dem die Mädchen ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl zeigten und ihre Auffassung vehement verteidigten. Die beiden Leiter mußten möglichst respektvoll klarmachen, daß der Klang einer einzelnen Passage in Beziehung zur Klangästhetik des Gesamtwerks stehen muß.
Das Alpinisten-Duo (Kuhglocken und eine rostige, mit einer Gabel gespielte Zither) ironisiert die Klangwelt von Heimatfilmen und Musikantenstadln.
Die Flötenpassage zum Schluß schließt den Rahmen des zweiten Satzes.

3. Satz: Scherzo

Der dritte Satz ist ebenso wie der zweite aus Stücken für Kleinformationen zusammengebaut, das rhythmische Element ist jedoch stärker betont.
Die Wiederholung einer spontan erdachten Rhythmusfigur erfordert nicht nur eine hohe Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit, sie kann auch unüberwindliche Schwierigkeiten machen, wenn man gerade einen mannsgroßen Wäschestampfer zu bedienen hat. Strenge Rhythmusimitation, die mit Klangvariation verbunden wird, erhält so ein humorvolles Element.
Das zweite Klavier-Duo, ebenfalls mit einem Spieler an den Tasten und einem mit verschiedenen Gegenständen an den Saiten, bietet den impressionistischen Gegensatz zum ersten.
Das anschließende Quartett ist eine freie Improvisation mit der Vorgabe, die Lautstärke kontinuierlich zu steigern und wieder zu senken. Unterstützt wird die Improvisation durch regelmäßige Schläge auf eine Blechtonne.
Das folgende Trio stellt ein weiteres Ostinato des vierten Satzes vor, über das ein Solo mit auf dem Boden gedrehten Metalluntersetzern gespielt wird. Dabei wird der Boden vor der Bühne in die Klangerzeugung einbezogen.
Das Haushaltsgeräte-Sextett arbeitet mit dem Mittel der Spannungspause. Der Schluß der Improvisation (vier Schläge) muß auf Blickkontakt erfolgen. Das Orchester antwortet mit vier Schlußschlägen.

4. Satz: Finale ritmico

Der Schlußsatz einer Symphonie beinhaltet traditionellerweise nicht den emotionalen Höhepunkt, sondern bildet einen rhythmisch prägnant gefaßten Abschluß, der sich auf das Vorausgegangene bezieht.
Der Schlußsatz dieser Schrottophonie bringt die bereits in klanglicher Variation vorgestellten zwei Ostinati nun in ihrer eigentlichen Gestalt, in ihrer Beziehung zueinander und in ihrer grundlegenden Bedeutung für ebendiesen Satz, der aus einem sich stufenweise aufbauenden Geflecht komplementärrhythmisch zusammengesetzter Figuren besteht. Dieser mühevoll zusammengebaute Maschinenklang, dargestellt von der einen Hälfte des Orchesters, wird nun konterkariert von den regelmäßigen Schlägen der anderen Hälfte, die schließlich die Filigranelemente absorbiert, um das Werk in einem fulminanten Fortissimo zu beenden.
Didaktisches Ziel der Erarbeitung dieses Satzes war die Erziehung zu rhythmischer Sicherheit, zu einem Gefühl von Beat und Off-Beat, aber auch zu einem Gefühl für die Möglichkeiten eines leisen Instrumentes wie dem Triangel, der an ansonsten unbetonter Taktzeit gut zu hören ist.
Zur Vereinfachung der Probenarbeit erhielt jeder Bestandteil der Komposition einen Namen: Gong, Schütt, Pok 1, Pok 2, Peng, Bing. Erwartungsgemäß erwies sich die Komposition als schwer zu realisieren und erforderte geroßen Probenaufwand, u.a. eine Intensivphase. Die Vertrautheit mit Metrik ist jedoch elementar wichtig nicht nur für das Musizieren, sondern auch für das Musikhören.
Der Vorteil der Erarbeitung eines solchen Satzes gegenüber den Schülern meist unsinnig erscheinenden Klatschübungen besteht darin, daß ein sinnvolles musikalisches Ergebnis erzielt wird, das in einen sozialen Zusammenhang gehört.

Schlußbemerkung

Die Projektidee, eine Schrottophonie zu erarbeiten und aufzuführen, hatte nicht nur den Erfolg, daß die Schüler neue Klangwelten kennenlernten und sich in ihnen kreativ bewegten. Die Teilnahme am Produktionsprozeß machte aus bisherigen Musikrezipienten selbstbewußte Musiker und Musikerinnen.



Kessel

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