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Der Geräusche-Sammler

Richard Ortmann macht den Ruhrpott mit seinem Geräuschearchiv unsterblich

Das Ruhrgebiet hörbar machen – und das für alle Zeiten. Seit 1980 erkundet Richard Ortmann mit Mikrofon und Aufnahmegerät das Revier, immer auf der Suche nach Krach, Knallen und Klappern. Ob Stahlarbeiten, Grubenfahrten, Autobahnen, Stimmengewirr oder Ruhrpott-Dialekt: Der gebürtige Herner hat alle typischen Geräusche des „Potts“ archiviert. Insgesamt 7.200 Minuten.

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Dortmund-Neuasseln. Ein riesiges Gebäude, in dem bis 1980 Kinder ihre Grundschuljahre verbrachten. Heute proben hier Theatergruppen und Musikbands. Richard Ortmann bewohnt mit seiner Frau Uta C. Schmidt und den Söhnen Max (10) und Karl (4) die ehemalige Hausmeisterwohnung. „Die Stadt Dortmund hat uns Künstlern das Haus 1986 mietfrei zur Verfügung gestellt“, sagt der 52-Jährige. Auf dem Dachboden hat Ortmann sein „Büro“. Nur in der Mitte ist dort aufrechtes Laufen möglich, die Wände laufen schräg vom Boden aus zu einem spitzen Dach zusammen. An der einen Schräge stehen Kisten mit Schallplatten und CDs, an der anderen ist eine lange Arbeitsplatte mit Computer, Mischpult und Aufnahmegerät befestigt.

120 Stunden Töne des Ruhrgebiets

Das Geräuschearchiv sieht unspektakulär aus, ist aber gewaltig: Über 200 CDs und Digital-Cassetten stapeln sich in mehreren Holzkisten. Auf diesen Tonträgern hat Ortmann das Ruhrgebiet auf ewig dokumentiert – über 120 Stunden Material. „Andere machen Bilder und Videos, ich sammele Geräusche“, sagt er.

Ruhrgebiet verschwindet unwiederbringlich

Die Geschichte des Geräuschearchivs begann mit einem Spezialauftrag: „Der WDR bat mich, Ruhrpottgeräusche für ein Hörspiel aufzunehmen.“ Der 52-Jährige fand sie in einer Schrauberei in der Nordstadt von Dortmund. Als er die dort aufgenommenen Töne einige Wochen später im Tonstudio bearbeiten wollte, war die Aufnahme zerstört. Also zurück zur Schrauberei. „Aber die hatte inzwischen dicht gemacht. Da fiel mir auf, dass im Ruhrgebiet eine ganze Kultur unwiederbringlich verschwindet.“ Die Geburtsstunde des Geräuschearchivs.

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Ganz nah dran: Mit Mikrofon und Aufnahmegerät hält Richard Ortmann Geräusche der B1 in Dortmund für die Ewigkeit fest.

Ein Hörspiel nur aus Geräuschen

1993 bot er dem WDR etwas Einzigartiges an: Ein Hörspiel, das nur aus Geräuschen des Ruhrgebiets besteht. Mit Erfolg. Nach Ausstrahlung von „Einmal Herne und zurück – Klanglandschaft Ruhrgebiet“ im WDR-Hörfunk erhielt Richard Ortmann einen Preis vom „Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher“. Leiter von verschiedenen Industriedenkmälern im Ruhrgebiet wurden auf den Wahl-Dortmunder aufmerksam. „Ich durfte für ehemalige Zechen und heutige Denkmäler Beschallungen produzieren.“ Der gebürtige Herner ging mit seinem Aufnahmegerät und Richtmikrofon los, nahm typische Arbeitsgeräusche auf und bearbeitete sie im eigenen Tonstudio. Besucher der Zeche Teutoburgia oder der Zeche Zollverein in Essen hören nun Endlosschleifen made by Richard Ortmann.

Ein Leben geprägt von Geräuschen und Tönen

Geräusche und Töne bestimmen Ortmanns Leben. Als Kind in Herne trommelte er zusammen mit seinem Bruder (Kontrabass) und seinem Vater (Klavier) in einem Swing-Trio. Das Saxophonspielen brachte er sich selbst bei. Nach der Schulzeit auf der Grundschule Berliner Platz und dem Otto-Hahn-Gymnasium sowie einem Auslandsjahr in den USA zog es ihn 1979 nach Dortmund: „Hier hatte ich einfach mehr Chancen als Musiker, als in Herne.“ 1981 gründete er die Blaskapelle „schwarz/rot Atemgold 09“. Bis heute spielen sie Jazz mit afrikanischen und lateinamerikanischen Einflüssen – und das auch schon auf Festivals in ganz Europa.

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Von wegen „altes Eisen“: In der „Schrottophonie“ werden Säge und Stahlkette zu Musikinstrumenten.

Vater der „Schrottophonie“

Ortmann „erfand“ außerdem die „Schrottophonie“. „Das Schrottophon ist eine Instrumentenansammlung, die aus vielen Teilen besteht, die nicht mehr gebraucht werden“, erklärt er. Stahlrohre, alte Toaster, Reifen, Metallfässer oder Schreibmaschinen: Das Schrottophon setzt er bei Projektwochen in Schulen ein. „Den Kinder macht es Riesenspaß, auf die verschiedenen Teile zu hauen“, sagt Ortmann.

Zukunftsgeräusche

Für den gebürtigen Herner beginnt mit seinem Geräuschearchiv nun eine neue Ära: „Die Klangwelt des Ruhrgebiets verändert sich. Zechen schließen, neue Töne etablieren sich“, so Ortmann. Für das „alte“ Ruhrgebiet plant er schon den finalen Abgesang. „Ich nehme Sprengungen von alten Fabrikhäusern auf. Die schneide ich zur längsten Sprengung der Welt hintereinander“, sagt er. „Der Zusammenbruch des Ruhrgebiets.“ Gleichzeitig denkt er an den Neuaufbau: „Ich nahm kürzlich typische Arbeitsgeräusche in einer Computerchipfirma in Dortmund auf.“ Richard Ortmann macht so auch in Zukunft das Ruhrgebiet hörbar.

inherne Ausgabe 01, Februar 2007, S. 35
Text: Daniel vom Bruch
Fotos: Thomas Schmidt



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